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Ist Wasserstoff die Zukunft im Pkw?
A. Einige Fakten vorweg
Wasserstoff (chemisches Zeichen: H) kommt auf der Erde praktisch nicht in reiner Form vor, sondern so gut wie immer als Bestandteil eines Moleküls. Ein Wasserstoffmolekül besteht aus 2 Wasserstoffatomen (H2). Ein Kilogramm Wasserstoff hat einen Energiegehalt von 33,33 kWh, gut dreimal soviel wie 1 kg Benzin. Dieses Kilogramm Wasserstoff hat allerdings bei Umgebungsdruck und 20 °C ein Volumen von über 11 m3. Für den Transport muss es also stark komprimiert werden. Entweder durch Druck auf 200 bis 700 bar; bei 700 bar beträgt dann das Volumen 25 Liter pro kg Wasserstoff. Alternativ kann das Wasserstoffgas mittels Verflüssigung durch Abkühlung auf – 253 °C auf ein Volumen von 14 l pro kg Wasserstoff reduziert werden. i
B. Wie wird Wasserstoff heute hergestellt?
Weltweit wird rund 90 % des jährlich erzeugten Wasserstoffs (30 Mio. t) durch ein Verfahren hergestellt, das Dampfreformierung genannt wird. Ausgangsstoff ist immer ein Kohlenwasserstoff, in der Regel Methan, also Erdgas. Dabei wird so viel CO2 frei, als wenn das Erdgas verbrannt wird. Deshalb wird dieser so hergestellte Wasserstoff auch „grauer“ Wasserstoff genannt.
C. Wie sollte Wasserstoff künftig hergestellt werden?
CO2-frei und damit klimafreundlich ist die Elektrolyse von Wasser, wenn dabei CO2-frei erzeugter Strom verwendet wird. Dabei entsteht Wasserstoff, der als „grün“ bezeichnet wird, und Sauerstoff. Wegen des hohen Energieeinsatzes wird dieses Verfahren bislang kaum eingesetzt. Für die Herstellung von einem Kilogramm Wasserstoff in einem Elektrolyseur werden 53 kWh Strom benötigt. ii
D. Wofür wird Wasserstoff eingesetzt?
In der aktuellen Diskussion wird deutlich, dass viele Menschen zuerst an das „Wasserstoffauto“ denken, wenn von Wasserstoff die Rede ist.
Tatsächlich werden über 50 % der weltweit produzierten Wasserstoffmenge (jährlich 30 Mio. Tonnen) für die Ammoniak-Synthese verwendet, als Grundlage für die Produktion von synthetischem Stickstoffdünger iii und anderer chemischer Produkte. Weitere Einsatzgebiete für Wasserstoff: Herstellung zahlreicher Grundchemikalien, Verhüttung von Erzen, Kohlehydrierung und Fetthärtung.
E. Wo ist der Zusammenhang zwischen Wasserstoff und Energiewende?
Gemeinsames Ziel vieler Bemühungen, den weltweiten Temperaturanstieg abzubremsen (Klimawandel), ist die Decarbonisierung. Damit ist die Abkehr von kohlenstoffgebundenen Energieträgern wie Kohle, Erdöl und Erdgas gemeint. Ihnen allen gemeinsam ist, dass daraus Energie gewonnen wird, indem der Kohlenstoff zu CO2 verbrannt wird. CO2 ist aber der Haupttreiber des Klimawandels. iv
Deshalb wird die Stromproduktion auf Wind- und Sonnenenergie umgestellt. Auch Biomasse und Wasserkraft sind so gut wie CO2 -frei. Wind und Sonne liefern zwar unbegrenzt Energie, die zu elektrischer Energie umgewandelt werden kann. Da Strom aus Wind und Sonne aber nicht immer zum Zeitpunkt des Verbrauchs erzeugt werden kann (Windstille, Dunkelheit), muss Strom aus Wind und Sonne zu Zeiten des Überschusses in großen Mengen gespeichert werden. Dazu bietet sich möglicherweise die Umwandlung in Wasserstoff an. Dieser CO2-frei erzeugte Wasserstoff kann den „grauen“ (siehe B.) Wasserstoff verdrängen. Er kann grundsätzlich aber auch in der Mobilität eingesetzt werden.
F. Vergleich beim Einsatz in der Mobilität
Wasserstoff kann grundsätzlich auch in der Mobilität eingesetzt werden:
Wasserstoff-Verbrennung in einem Verbrennungsmotor
2009 wurde aus Gründen der fehlenden Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit der letzte Versuch eingestellt, Wasserstoff in einem Motor zu verbrennen. BMW hatte 100 Exemplare eines BMW 760i dazu umgerüstet. Mit 8 kg Wasserstoff betrug die Reichweite rund 200 km. Der Grund für den hohen Verbrauch (3,6 kg/100 km) lag prinzipbedingt in der Ineffizienz eines Verbrennungsmotors, der eben vor allem Wärme produziert und nur zu einem geringeren Teil Bewegungsenergie. 8 kg Wasserstoff ließen sich in einem Pkw aus Platzgründen nicht mehr in einem Drucktank unterbringen. Erst verflüssigt bei -253 °C hat Wasserstoff das geringstmögliche Volumen: Ein Kilogramm Flüssig-Wasserstoff beansprucht ein Volumen von 14,08 Litern. v
Das heißt, der Tank musste für 8 kg Wasserstoff ein Netto-Volumen von 113 Litern haben. Zum Vergleich: Der Bezintank im 7er BMW hatte ein Volumen von etwa 70 Litern und fand, alle Nischen ausnutzend, unter der Rücksitzbank Platz. Der Wasserstoff-Kältetank muss aus physikalischen Gründen immer rund und damit sehr sperrig sein.
Unvermeidlich verdampft ständig Wasserstoff aus dem Kältetank, der kontrolliert abgelassen werden muss, da er anderenfalls platzen würde. Innerhalb von 9 Tagen leerte sich ein halbvoller Flüssigwasserstofftank in einem BMW Hydrogen 7 auf diese Weise vollständig. vi
Die aus physikalischen Gründen nicht zu lösenden Probleme (hoher Verbrauch, der zur Mitnahme verflüssigten Wasserstoffs zwang, der sich aber schnell verflüchtigte, sowie großer Platzbedarf) führten 2009 zur Einstellung des Versuchs.
Elektrischer Antrieb durch Umsetzung des Wasserstoffs in einer Brennstoffzelle
Seit Mitte der 90-er Jahre versucht man, praxistaugliche Versionen von Brennstoffzellenautos (Fuel Cell Electric Vehicle = FCEV) auf den Markt zu bringen. Dem Einsatz der Brennstoffzelle liegen bereits über 50 Jahre Forschung zugrunde, ohne dass bis heute (2022) ein Durchbruch auf dem Markt erkennbar wäre.
Für ein Wasserstoff-Brennstoffzellenauto spricht die kurze Dauer der Betankung. Diese ist allerdings bei vielen Tankstellen nur dann kurz ist, wenn nach dem vorangegangenen Tankvorgang mindestens 30 Minuten Wartezeit vergangen sind, während derer die Tankanlage den nötigen Druck von über 700 bar erneut aufbaut und der Tankstutzen wieder enteist ist.
Gegen ein FCEV spricht die sehr schlechte Energie-Effizienz. Für eine gemäßigte Fahrt über 100 km wird etwa 1 kg Wasserstoff benötigt. Für dessen Herstellung und Komprimierung auf über 700 bar müssen mindestens 60 kWh elektrische Energie aufgewendet werden (siehe Fußnote 2). Mit derselben Energiemenge fährt ein Batterie-elektrisches Auto (Battery Electric Vehicle = BEV) über 300 km. Ein FCEV braucht also für dieselbe Fahrstrecke mehr als dreimal soviel elektrische Energie wie ein BEV. Dies ist kein zu vernachlässigendes Problem, sondern hat gravierende Konsequenzen. Solange CO2-frei erzeugte Energie knapp und teuer ist, ist ein effizienter Umgang damit unverzichtbar. Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung vii betont zu Recht die Bedeutung der Energie-Effizienz. Die Bundesregierung plant ein Gesetz zur Steigerung der Energie-Effizienz. Würde der gesamte deutsche Pkw-Bestand auf Wasserstoff/Brennstoffzelle umgestellt, so würde das 423 TWh grünen Stroms für sich beanspruchen. Deutschland hat in 2021 nur 234 TWh grünen Strom produziert. viii
Käme der Strom für die Herstellung von Wasserstoff für FCEV noch hinzu, müsste die Menge grünen Stroms fast verdreifacht werden. Das hieße dreimal so viele Windräder, dreimal so große Photovoltaikflächen. Nähme man dagegen den deutschen Strommix mit seinem Kohlestromanteil für die Elektrolyse, lägen die Treibhausgasemissionen des FCEV nach 150.000 km um 75 % über derjenigen eines Batteriefahrzeuges mit derselben Kilometerleistung. ix
Häufig wird dem Argument, dass grüner Wasserstoff auch nicht annähernd in ausreichendem Umfang in Deutschland produziert werden könne, entgegen gehalten, dann müsse man ihn oder die daraus hergestellten Produkte eben importieren. Das ist grundsätzlich möglich, birgt aber wiederum andere Nachteile: Der russische Krieg gegen die Ukraine hat deutlich gemacht, dass Energie-Abhängigkeiten als Druckmittel gegen Deutschland eingesetzt wurden. Hinzu kommt, dass Länder wie Australien oder Chile, die sich als Lieferanten anbieten, ihren eigenen Strombedarf überwiegend aus Kohle decken. Für das Klima wäre mehr gewonnen, wenn diese Länder ihren eigenen Strombedarf aus Wind und Sonne decken würden. Deutschland wäre zudem nicht das einzige Land, das sich Wasserstofflieferanten sichern möchte. Viele europäische Länder würden sich die Klinke in die Hand geben bei potentiellen Lieferanten.
Auch die Nutzung des im Rahmen des Einspeisemanagements abgeregelten Stroms für die Herstellung von Wasserstoff — was ja zunächst als eine gute Lösung erscheint — ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. 6,15 TWh wurden 2020 abgeregelt. x
Diese Strommenge reicht gerade, um Wasserstoff für 1,45 % des deutschen Pkw-Bestandes herzustellen. Diese Strommenge wurde abgeregelt, weil das Netz sie zum Zeitpunkt der Produktion nicht aufnehmen konnte. Daraus folgt, dass dieser Strom, sollte er genutzt werden, direkt an der Windkraftanlage mit einem Elektrolyseur in Wasserstoff umgewandelt werden müsste (auch um Netzentgelte zu vermeiden) und per Lkw oder Pipeline von den Produktionsorten weg zu den Bedarfsorten transportiert werden müsste. Hinzu kommt, dass ein nur während der gelegentlichen Abschaltzeiten laufender Elektrolyseur unwirtschaftlich ist, d.h. zu teuer betrieben wird. Bereits wegen der sehr schlechten Energie-Effizienz der Elektrolyse, wie auch der Brennstoffzelle scheidet dieses Verfahren aus, zumal eine dreimal effizientere Technik sich auf dem Markt gerade durchsetzt, nämlich der direkte Einsatz von Strom im BEV.
Ein weiteres Gegenargument ist, dass sowohl Anschaffung als auch Betrieb eines FCEV deutlich teurer sind als bei einem vergleichbaren BEV. Die beiden einzigen frei verkäuflichen FCEV auf dem deutschen Markt, der Toyota Mirai II und der Hyundai Nexo kosten 64.000 € bzw. 77.000 €. Ein vergleichbares BEV, das Tesla Model 3, gibt es ab etwa 44.000 € xi abzüglich aktueller Förderung (4.500 €) knapp unter 40.000 €. Der subventionierte Preis für ein kg Wasserstoff beträgt 12,85 €. Das reicht für knapp 100 km. Bei einem Verbrauch von 18 kWh/100 km bei einem BEV fallen bei einem Strompreis von 50 Cent/kWh 9 € an. Sowohl Anschaffungs- als auch Betriebskosten sind also bei einem BEV deutlich niedriger.
Gegen das FCEV spricht auch der komplexe technische Aufbau verglichen mit dem eines BEV. Ein FCEV braucht mindestens einen, häufig mehrere schwere Drucktanks, deren Herstellung etwa ebenso viel CO2 verursacht wie die Herstellung eines großen Autoakkus. xii Im Falle des Toyota Mirai II werden drei schwere Tanks benötigt, um 6 kg Wasserstoff mit 700 bar zu transportieren. Dazu kommt eine Brennstoffzelle mit Leistungselektronik, die in der Regel den gesamten Motorraum ausfüllt. Da die Brennstoffzelle bei niedrigen Temperaturen aufgeheizt werden muss, bevor sie starten kann und weil sie schnelle Leistungsänderungen, zum Beispiel beim Anfahren, nicht bewältigt, ist ein zusätzlicher Akku notwendig. Das führt in der Summe dazu, dass Toyota für den Mirai II 1.900 bis 1.950 kg Leergewicht benennt, etwa 75 kg mehr als ein Tesla Model 3, einem rein elektrisch angetriebenen Pkw. Der Akku ist häufig hinter der Rücksitzlehne eingebaut, so dass ein durchgehender Kofferraum nicht mehr möglich ist. Im BEV können wegen des geringen Platzbedarfs Akku, Motor und Leistungselektronik im Unterboden integriert werden, so dass ein großer Fahrgastraum sowie je ein Kofferraum vorn und hinten möglich sind.
Gegen ein FCEV spricht die nur in Ansätzen vorhandene, sehr teuer aufzubauende Tank-Infrastruktur. Eine Wasserstoff-Tankstelle kostet ab 1 Mio. Euro. Alternativen, etwa Heimlösungen, stehen nicht zur Verfügung und sind wegen der Sicherheitsanforderungen auch nicht zu erwarten. Das Handling des Wasserstoffs konzentriert sich mindestens europaweit auf nur zwei Firmen: Linde und Air Liquide, so dass Konkurrenz und Wettbewerb allenfalls sehr schwach ausgeprägt sein dürften.
Eine professionelle öffentliche Ladesäule für BEV mit 2 Steckdosen kostet einschließlich Anschluss an das öffentliche Stromnetz zwischen 5.000 und 10.000 €. Heimlösungen gibt es ab 400 € plus Anschluss. Stromleitungen liegen in jedem Fußweg, Strom ist in jedem Gebäude verfügbar. Strom kann durch Photovoltaik auf sehr vielen Dächern selbst und dezentral produziert werden. Es gibt tausende von großen und kleinen Stromproduzenten in Deutschland, so dass Konkurrenz und Versorgungssicherheit sichergestellt sind.
Fazit:
Wasserstoff wird voraussichtlich für die Energiewende als Speichermedium für zur Unzeit produzierten Strom benötigt. Er kann mit CO2-freiem Strom in einem CO2 – freien Verfahren erzeugt werden und — soweit er nicht zur Rückverstromung benötigt wird — den großen Bedarf der Industrie CO2 -frei decken, der heute mit „grauem“ Wasserstoff gedeckt wird. Für den Einsatz im Pkw-Bereich bietet er sich aus den beschriebenen Gründen nicht an, insbesondere wegen des sehr hohen Energiebedarfs, und er ist sogar kontraproduktiv mit Blick auf den Klimaschutz.
Dies sollte öffentlich vermittelt werden; denn mit dem grundsätzlich richtigen Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft verbindet die Allgemeinheit weithin ausschließlich den Einstieg in das „Wasserstoffauto“ und stellt bis auf weiteres den Umstieg auf Elektromobilität zurück.
i https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserstoff
ii https://www.gasag.de/magazin/neudenken/wie-viel-strom-fuer-1kg-wasserstoff
iii https://mb.cision.com/Public/115/2728917/8c86ae7516d968ab.pdf
iv https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2019/03/IPCC_AR5_WGIII_FAQ_deutsch-1.pdf
v https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserstoffspeicherung
vi https://de.wikipedia.org/wiki/BMW_Hydrogen_7
vii https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzprogramm-2030-1673578
x https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Mediathek/Monitoringberichte/Monitoringbericht_Energie2021.pdf?__blob=publicationFile&v=6
Bei 47 Mio. Pkw und 15.000 km/a und 60 kWh/100 km für FCEV
xii https://theicct.org/wp-content/uploads/2022/01/Global-LCA-passenger-cars-FS-DE-jul2021.pdf
Stellungnahme zum Artikel des IFO Instituts
In einem Artikel im IFO-Schnelldienst (08/2019, „Kohlemotoren, Windmotoren und Dieselmotoren: Was zeigt die CO2-Bilanz?“) in der Reihe „Forschungsergebnisse“ des Münchner IFO Instituts für Wirtschaftsforschung haben die Autoren Christoph Buchal, Hans-Dieter Karl und Hans-Werner Sinn sich mit der Frage befasst, was die CO2-Bilanz für „Kohlemotoren“, „Windmotoren“ und Dieselmotoren zeigt1 .
Dazu im Einzelnen folgende Anmerkungen zu einigen wenigen Punkten:
1. Die Verfasser beanstanden, dass das Elektroauto vom Gesetzgeber bei der Berechnung des Flottenverbrauchs aller Fahrzeuge eines Herstellers als Null- Emissions-Auto angesehen wird und als solches in die Berechnung eingeht. Dies berücksichtige nicht die Emissionen bei der Bereitstellung der notwendigen, vor allem elektrischer Energie und die damit verbundenen CO2-Emissionen.
Diese Tatsache ist seit langem bekannt und wird bei allen seriösen Untersuchungen, die den gesamten Lebenszyklus umfassen, einbezogen und ist Teil aller einschlägigen Studien.i Es steht dem Gesetzgeber frei, für bestimmte Zwecke einzelne Sachverhalte als gegeben zu definieren, ohne dass dies aus technischer oder wissenschaftlicher Sichtweise gedeckt wäre. Steht zum Beispiel die gesundheitliche Beeinträchtigung durch Emissionen in Städten im Vordergrund, hat die Bezeichnung „emissionsfrei“ für Batterieelektrische Autos durchaus ihre Berechtigung.
2. Bei dem zum Vergleich mit einem Elektroauto herangezogenen Mercedes C 220 d wird der veraltete NEFZ-Wert dem tatsächlichen Treibstoffverbrauch zugrunde gelegt. Weder der veraltete NEFZ, noch der heute verbindliche WLTP-Testzyklus haben zum Ziel, den realen Verbrauch abzubilden, jedoch liegen die im WLTP- Messverfahrens ermittelten Daten diesem deutlich näher. Allein der Wechsel von NEFZ zum WLTP-Verfahren hat zu einem scheinbaren Verbrauchsanstieg von 20% geführt.ii Die realen Verbräuche liegen nochmals höher, laut Spritmonitor um im Mittel 50% gegenüber dem NEFZ.iii Wenn die Verfasser die realen CO2-Emissionen vergleichen wollen, müssen sie auch die realen Benzinverbräuche zugrunde legen. Beim Tesla Model 3 liegt der WLTP-Verbrauch bei 13,4 kWh/100 km. Der tatsächliche Verbrauch liegt sicherlich ebenfalls höher. Dem Vergleich liegen somit fehlerhafte Daten zugrunde.
3. Die wichtigste Stellschraube bei der Ermittlung der CO2-Emission bei der Produktion wie auch beim Betrieb eines Elektroautos ist die CO2-Emission bei der Bereitstellung des eingesetzten Stroms. Eine Zusammenstellung und Diskussion ist in den unter Fußnote 2 erwähnten aktuellen Studien zu finden. In dem IFO-Aufsatz diskutieren die Verfasser die unrealistische Annahme eines Betriebs ausschließlich mit Strom aus Stein- oder gar Braunkohle und ihre Konsequenzen. Sie erwähnen selbst das Unrealistische dieser Betrachtung, halten sie aber doch für nicht grundsätzlich auszuschließen. Hier kommt ihre subjektive und grundsätzlich skeptische bis ablehnende Haltung zur von der Bundesregierung beschlossenen Energiewende hin zu erneuerbaren Energien ganz offen zum Ausdruck. Sie vermuten, dass nach sukzessiver Abschaltung der Braunkohlekraftwerke, vermehrt Erdgas zur Verstromung eingesetzt wird. Sie empfehlen jedoch, dieses Erdgas direkt in Verbrennungsmotoren einzusetzen so wie dies seit Jahren in abnehmendem Umfang schon geschieht. Sie übersehen dabei, dass man mit Erdgas nicht das verbindliche Ziel der Decarbonisierung der Energieerzeugung erreichen wird, weder im Energie-Sektor noch im Mobilitäts-Sektor, auch wenn Erdgas pro erzeugter Energiemenge weniger CO2 verursacht als Kohle. Im Gegensatz zu einem Auto mit Erdgasmotor kann ein Elektroauto mit
ausschließlich CO2-freiem Strom aus erneuerbaren Quellen betrieben werden. Unberücksichtigt in dem Artikel bleibt, dass die CO2-Bilanz der Elektroautos von Jahr zu Jahr besser wird, weil der Anteil CO2-freier Stromerzeugung weiter steigen wird.
Zur Stützung ihrer These legen die Verfasser eine Annahme zugrunde, für die es keine Belege oder auch nur Hinweise gibt und die das Blatt in die gewünschte Richtung wendet: Sie behaupten, dass ein Fahrakku in einem Elektroauto nach 150.000 km ersetzt werden müsse. Da die Berechnungen der Autoren sich auf 225.000 km stützen, könne der „CO2-Rucksack“ des Akkus dem Elektroauto noch einmal zur Hälfte aufgebürdet werden und in der Folge wendet sich die CO2-Bilanz unabwendbar ins Negative. Im Widerspruch dazu gibt es aktuell eine größere Zahl von Elektroautos, die mit dem ersten Akku weit über 200.000 oder 300.000 km gefahren sind. Ja, es mehren sich die Hinweise, dass der Akku über die Lebensdauer des Autos hinaus funktionsfähig bleiben wird. Für den zum Vergleich herangezogenen Akku des Model 3 gewährt der Hersteller eine Garantie über 192.000 km. Zur Zeit sind noch so gut wie alle Akkus im Fahrbetrieb. Geplant ist, nach Ablauf der Nutzungsdauer des Autos, die Akku stationär als Speicher für Photovoltaik-Anlagen einzusetzen.
4. Die Verfasser berufen sich auf die Studie vom Romare und Dahllöf (2017),iv die den Versuch unternommen haben, die Treibhausgas-Emissionen bei der Produktion von Lithium-Ionen-Akkus abzuschätzen. Eingeschlossen war dabei alles von der Gewinnung der Rohstoffe, deren Verarbeitung bis zum fertigen Akku-Paket. Sie beklagen dabei die schlechte Datenlage („Very little data are available on this subject“), die daher auch alte Untersuchungen umfasste. Die Autorinnen selbst haben später in der aufflammenden internationalen Diskussion darauf hingewiesen, dass neuere Entwicklungen nach 2017 nicht berücksichtigt werden konnten und dass die heutige Situation günstiger sein kann. In der Presse wurden dann weiterführende Hochrechnungen präsentiert, die aber in Unkenntnis der schwedischen Berechnungsgrundlagen zu falschen Ergebnissen kamen. Der Vergleich der CO2-Emissionen mit einem durchschnittlichen schwedischen Benzin-Pkw kommt zu für den Rest der Welt zu nicht übertragbaren Ergebnissen: in Schweden fließt bei der durchschnittlichen CO2-Emission eines Benziners die Tatsache mit ein, dass ein Teil des schwedischen Kraftstoffs zu 85 % aus Bio-Äthanol besteht, der mit einer CO2-Null-Emission in die Bilanz einfließt. Zudem werden in Schweden alle Hybride mit ihren überwiegend gemäß Norm abstrus niedrigen Benzinverbräuchen (Plug-in-Hybrid) bei den Benzinern eingerechnet. Dies ist im Detail von der Online-Ausgabe des Handelsblatts im Januar 2019 recherchiert worden.v
2019 hat schließlich das IVLvi die mit der Akkuproduktion verbundenen CO2-Emissionen von 150-200 kg CO2eq pro produzierter kWh Akku-Kapazität auf 61-106 kg Co 2eq pro produzierter kWh Akku-Kapazität aktualisiert. Allein diese Reduzierung auf grob die Hälfte beeinflusst die CO2-Bilanz erheblich zugunsten des Batterieelektrischen Autos. Die IVL-Publikation erschien im November 2019, also nach dem IFO-Artikel, der am 25.4.2019 erschien. Im Gegensatz zum IFO-Aufsatz ist die IVL-Studie peer reviewed.
Sofern sich die Berechnungen, wie in diesem Fall, auf das Tesla Model 3 beziehen, ist in dem IFO-Aufsatz nicht berücksichtigt worden, dass sowohl die Produktion der Zellen als auch der Zusammenbau zum Akku mit mindestens ganz überwiegend, wenn nicht ausschließlich erneuerbarem Strom aus Wind und Sonne in der Gigafactory in Nevada geschieht. Es bliebe allenfalls die CO2-Emission bei der Gewinnung der Rohstoffe.
5. Bei den Ausführungen zur Brennstoffzelle fällt auf, dass unvermittelt von Wasserstoff als emissionsfreiem Kraftstoff die Rede ist. Legte man hier – zu Recht – dieselbe penible Sichtweise zugrunde wie beim Elektroauto, dürfte man natürlich nicht die sog. Vorkette, auch well-to-tank-Betrachtung genannt, außer acht lassen. Wasserstoff muss hergestellt werden. Dafür werden 53 kWh Strom benötigt, um ein kg Wasserstoff im Wege der Elektrolyse herzustellen.vii Die Elektrolyse ist das einzige CO2-freie Verfahren zu dessen Herstellung. Für Kompression und Transport des Wasserstoffs müssen etwa weitere 20 % der Energie nach Darstellung der Verfasser aufgewandt werden. Das sind zusammen dann 66 kWh, damit 1 kg Wasserstoff in einen 700-bar-Tank eines Brennstoffzellenautos (FCEV) gelangen. Damit kann das FCEV dann bei behutsamer Fahrweise 100 km zurück legen. Ein Batterie-elektrisches Auto fährt mit 66 kWh eher 400 als 300 km weit und hat damit in der Energieeffizienz einen Vorsprung mit dem Faktor 3 bis 4 gegenüber einem FCEV. Energieeffizienz ist ein wichtiger Baustein der Energiewende, denn auch Strom aus erneuerbaren Quellen steht nicht kostenfrei oder unbegrenzt zur Verfügung. Wasserstoff mag als Speicher unverzichtbar sein für den unabhängig vom Bedarf durch Wind und Sonne produzierten Strom — es ist aber volkswirtschaftlich unsinnig, ihn in Konkurrenz zum sehr viel effizienteren Akku im Pkw einzusetzen.
Die Verfasser verfolgen einen auf den ersten Blick naheliegenden Gedanken, wenn sie ausschließlich den abgeregelten Strom für die Herstellung von Wasserstoff einsetzen wollen. Also den Strom, der nicht produziert werden kann, weil bei Starkwind zu viel Strom produziert werden würde, als dass er über das vorhandene Netz abtransportiert werden könnte. Dass er, richtigerweise, obwohl gar nicht produziert, dem Erzeuger vergütet wird, erhöht nachvollziehbarerweise den Druck, diesen Strom irgendwie sinnvoll einzusetzen. 2017 wurden laut Bundesnetzagentur 5,52 TWh Strom aus erneuerbaren Quellen abgeregelt, d.h. nicht eingespeist.viii
Dem Gedanken, ausschließlich den abgeregelten erneuerbaren Strom in Wasserstoff und möglicherweise weiter in Methan und synthetische Kraftstoffe umzuwandeln, stehen mehrere Probleme entgegen:
— Zur Reduzierung der abgeregelten Strommenge werden aktuell große überregionale Stromtrassen geplant, gebaut bzw. sind schon fertig, so dass der zu beobachtende Rückgang der abgeregelten Strommenge weiter voranschreiten wird.
— Zum Zweiten planen viele Nutzer, diesen Strom zu nutzen, möglicherweise unter der irrigen Annahme, er sei kostenlos oder nahezu kostenlos verfügbar.
— Zum Dritten werden leistungsstarke Elektrolyseure nicht wirtschaftlich zu betreiben sein, wenn sie nur dann laufen, wenn abgeregelter Strom zur Verfügung steht. Wegen der sehr schlechten Energieeffizienz der Wasserelektrolyse und der Brennstoffzelle werden sehr große Strommengen benötigt werden (siehe Punkt 6), die nicht zur Verfügung stehen werden. Nicht aus erneuerbaren Quellen und auch nicht, wenn man Kohle oder Atomkraft einschließt. Der aktuell noch abgeregelte Strom wird nicht annähernd ausreichen.
6. Die Verfasser drücken im Teil 4 (Zwei mögliche Szenarien zur Elektrifizierung des Verkehrs) ihre Sorgen darüber aus, wie der Strombedarf für die Elektrifizierung des deutschen Pkw-Bestandes gedeckt werden kann. Dabei gehen sie von falschen Zahlen aus. Sie nehmen an, dass allein für alle deutschen Pkw (ca. 47 Mio.) 200 TWh Strom im Jahr benötigt würden. Eine einfache Rechnung kann das korrigieren:
Geht man von 15.000 km/a aus und einem Verbrauch von 18 kWh/100 km (einschließlich Lade- und Leitungsverluste) so kommt man auf 2,7 MWh pro Elektroauto und Jahr. Eine Million Elektroautos kämen auf 2,7 TWh pro Jahr. Das wären 0,5 % der deutschen Nettostromproduktion. Eine Steigerung, die im Grundrauschen verschwinden würde. Eine Million Elektroautos werden voraussichtlich erst 2022/23 erreicht werden. 10 Millionen E-Autos werden 5 % der deutschen Nettostromproduktion in Anspruch nehmen und 40 Mio. E-Autos etwa 20%. Das wären 110 TWh (und nicht 200 TWh) von 550 TWh Gesamtproduktion. Das wird aber sicherlich nicht mehr vor 2030 erreicht werden. Abzuziehen ist der Strombedarf für die Herstellung von ca. 36 Milliarden Liter Benzin und Diesel im Jahr.
Der Energiebedarf Deutschlands im Sektor motorisierter Individualverkehr (MIV) würde bei der Annahme von 7 l Benzin/100 km (= 60 kWh/100 km) bei einem durchschnittlichen Benziner und 18 kWh/100 km bei einem durchschnittlichen E-Auto auf 30 % zurückgehen. Ein Rückgang um 70 % im Sektor MIV.
Für das von den Verfassern bevorzugte Wasserstoff-/Brennstoffzellenauto würden dagegen etwa 400 TWh im Jahr nötig sein. 2022 wurden laut Monitoringbericht der Bundesnetzagentur 222 TWh Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt. Allein für den Umstieg auf Brennstoffzellenautos wäre fast eine Verdoppelung nötig. Gleichzeitig wäre für Sektoren, die keine Alternativen zum Wasserstoff haben (Stahlerzeugung, Ammoniaksynthese) kein Strom aus erneuerbaren Energien mehr vorhanden.
Nur 5,52 TWh (1,4 %) würden theoretisch aus abgeregeltem Strom kommen können. Allein schon aus diesem Grund wäre eine Umstellung auf FCEV nicht möglich und auch nicht sinnvoll.
Zusammenfassend:
Eine Durchsicht des Artikels hinterlässt den Eindruck einer Vermischung persönlicher, politischer Ansichten der Verfasser mit einer Auswahl geeignet erscheinender wissenschaftlicher Untersuchungen sowie statistischer Erhebungen, die das offenbar gewünschte Ergebnis des Artikels scheinbar unterstreichen. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, die Verfasser haben zu sehr die Bestätigung ihrer persönlichen Meinung im Blick gehabt, denn sie haben weder aktuelle Studien zu Rate gezogen noch in mehreren Fällen die richtigen Zahlen verwendet. Es gibt eine Fülle aktueller, seriöser Studien, die die im IFO-Aufsatz genannten Probleme nicht übersehen und die zu einheitlich anderen Ergebnissen kommen.
Reinhard Schmidt-Moser
November 2022
1 https://www.ifo.de/DocDL/sd-2019-08-sinn-karl-buchal-motoren-2019-04-25.pdf
i zuletzt: Agora Verkehrswende (2019): Klimabilanz von Elektroautos. Einflussfaktoren und Verbesserungspotential.
Wietschel et al. (2019): Die aktuelle Treibhausgasemissionsbilanz von Elektrofahrzeugen in Deutschland.
Fraunhofer ISI. Working Paper Sustainability and Innovation No. S 02/2019
iv Romare, M. und L. Dahllöf (2017): The Life Cycle Energy Consumption and Greenhouse Gas Emissions
from Lithium-Ion Batteries. No. C 243, IVL Swedish Environmental Research Institute.
vi https://www.ivl.se/english/ivl/press/press-releases/2019-12-04-new-report-on-climate-impact-of-electric-car-batteries.html
https://www.ivl.se/download/18.34244ba71728fcb3f3faf9/1591706083170/C444.pdf
vii https://www.gasag.de/magazin/neudenken/wie-viel-strom-fuer-1kg-wasserstoff